Links­händer?
oder
Rechts­händer?
Mit dei­ner na­tür­lichen Seite lebst du dein volles Po­tential!
Links­händer?
oder
Rechts­händer?
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„Warum ich keine Armbanduhr trage"

37 Jahre nachdem ich das erste mal eine Schule betreten hatte und zu schreiben anfing oder besser gesagt, es dort zu lernen begann, öffnete sich zufällig ein Tür in diese Zeit. Aufgestoßen eher beiläufig, durch eine an mich gestellte Frage: „Warum kannst du mit beiden Händen schreiben?", wollte meine Tochter wissen. „Ich kann es eben." meinte ich lapidar und schenkte dem Umstand weiters keine Beachtung.

Alles lag so weit zurück und würde ich es erzählen, so klang es wie ein Märchen aus fernen Tagen, ein Märchen, dass einem sowieso niemand glaubt. Aber wie Kinder so einmal sind, lassen sie nicht locker und löchern einen mit weitern Fragen, bis man endlich weich geklopft ist. „Also gut." sagte ich schließlich beim zu Bett gehen:

Es war einmal vor langer Zeit, einer Zeit in der es noch keine Mobiltelefone und Computer gab, also so um 1971 herum, ein kleiner Junge, der durfte in die Schule gehen. Er war sehr aufgeregt und auch neugierig was er dort so alles Neues kennen lernen würde. Seine Lehrerin war für seine Begriffe schon ziemlich alt, sie dürfte so um die 40 gewesen sein, also so alt wie der kleine Junge jetzt selber war.

Fräulein Rettich hieß sie und obwohl sie schon zwei Kinder hatte, wurde sie noch immer so genannt. Der kleine Junge lernte zuallererst das Schreiben. Anfänglich noch holprig, dann immer besser, schließlich macht es ihm sogar Spaß. Er hatte eine schöne Handschrift wie er selber fand, nur manchmal machte er die E’s und S’s anders herum, also verkehrt und noch etwas war anders, er schrieb als einziger in der Klasse mit der linken Hand. Nach ca. einem halben Jahr in der Schule bestellte die Lehrerin, die Mutter des Jungen in die Schule, um ihr mitzuteilen, dass etwas nicht mit ihm in Ordnung war. Sie empfahl der Mutter das Kind die Klasse wiederholen zu lassen. Im verbleibenden Jahr wolle Fräulein Rettich ihm eine, wie sie es nannte „Umschulung", angedeihen lassen. Das Kind wäre Legastheniker und Schuld daran sei seine Linkshängkeit. Nun wie es damals so Brauch war glaubte man der Lehrerin aufs Wort, man stellte sie nicht in Frage und einem anderen Brauch zufolge, erzählte man dem Kind nicht viel davon, man liess es sozusagen im Ungewissen. Aber natürlich spürte der Junge, dass etwas passierte, mit ihm passierte. Etwas war nicht in Ordnung, lief falsch. Er war nicht in Ordnung, anders als die Anderen und vor allem nicht gut in der Schule. Aber da hatten die Erwachsen eine Idee und wie sie glaubten war es eine gute. Sie schenkten dem Jungen eine Uhr. Es war keine Richtige Uhr, denn seine Mutter hatte sie gemacht und sie sah wie folgt aus. Ein kleines kreisrundes Bleigewicht wurde in einen braunen Filzstoff eingenäht und ein Ziffernblatt mit Ziegern wurde darauf gemalt. Das Ganze wurde auf einem braunen Lederuhrband befestigt und dem Jungen auf die rechte Hand geschnallt. Er musste sie untertags, die ganze Zeit über, tragen. Die Uhr sah für seine Begriffe richtig blöd, genauso genommen saublöd aus und er genierte sich dafür. Darüber hinaus ließ Fräulein Rettich ihn nur mehr mit der Rechten schreiben. Der Junge wurde jetzt so richtig schlechte in der Schule, denn er musste alles neu lernen und kam nicht mehr nach. Er wurde weiters in einen Spezialkurs geschickt, der die Umgewöhnung vertiefen sollte, dann wurde ein Intelligenztest durchgeführt der ihm erstaunlicherweise ein hohes Maß an Allgemeinwissen bescheinigte, doch er selbst wurde immer unsicherer und fand keinerlei gefallen mehr daran in die Schule zu gehen. Nach einem Jahr musste er die Bleiuhr nicht mehr tragen, nach zwei Jahren endete der Spezialkurs zur Umgewöhnung abrupt, wahrscheinlich hatte man erkannt, dass es doch nicht eine so gute Idee war Kindern das Linksschreiben abzugewöhnen. Nach vier Jahren Volksschule war der Junge endlich Rechtshändler konnte aber nur den B-Zug in der Hauptschule besuchen, seinen Leistungen waren einfach zu schwach. Nach zwei Jahren Hauptschule stieg er in den A-Zug auf und konnte schließlich doch ein Gymnasium besuchen und dort seine Matura machen, um anschließend studieren zu dürfen. Wie man sieht: Alles wird gut und er lebte glücklich und zufrieden bis an sein Lebensende.

Nun ganz so war es dann doch nicht.

Das Schriftbild des Jungen ist nur für ihn lesbar. Das Schriftbild der rechten Hand wird stetig schlechter. Es ist mit einem geradezu körperlichen Unwohlsein verbunden. Einerseits dauernd das Fehlen einer Feinmotorik wahrzunehmen, anderseits ständig auf eine hässliche Handschrift zu blicken. Es bedarf nach wie vor einer erhöhten Konzentration mit der Rechten zu schreiben. Wenn er Postkarten oder Briefe schreibt wechselt er in eine art Blockschrift. Die Unsicherheit verlässt ihn nie. Ist es gut genug was er schreibt? Ein an sich Zweifeln, nie damit zufrieden zu sein, ist sein ständiger Begleiter. Die Erinnerung an diese Zeit war so tief verschüttet, dass er 37 Jahre lang gebraucht hat, sie wieder an die Oberfläche kommen zu lassen. Dort konnte sie schließlich bearbeitet werden. Er begann wieder zaghaft links zu schreiben. Diese schön geschwungene, runde Kinderschrift wieder zu entdecken, bereit ihm Spaß, ist aber auch mit einer gewissen Wehmut verbunden. Die linke als Schreibhand im Alltag einzusetzen, daran ist nicht zu denken. Zu langsam ist sie, um sich Notizen zu machen.

Ein Jahr später ist der Großteil der Wut und Enttäuschung über diese Geschichte auf ein normales Maß zurückgeschrumpft.

Er nimmt seine linke Körperhälfte stärker war.
Er malt und zeichnet mit der Rechten.
Er nimmt sein Wasserglas mit der linken Hand.
Er schneidet mit seiner Linken Hand.
Er grüßt mit der Rechten.
Er streichelt mit der Linken.
Er schreibt mit beiden Händen und manchmal spielt er Klavier, auch mit beiden Händen und er wird nie mehr in seinem Leben eine Armbanduhr tragen.

PS: Das oben erwähnte Märchen (welches in Wirklichkeit keines ist, sondern meine Schulkarriere beschreibt) sollten sie nicht beim zu Bett gehen erzählen. Ihr Kind könnte schlecht schlafen.

Florian Grünmandl


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